Alzey - im Herzen Rheinhessen

Schreiben der Landesvorsitzenden Julia Klöckner an den Katholikenrat

Stellungnahme zum Faltblatt

 

Julia Klöckner

Sehr geehrter Herr Thesing,

lassen Sie mich auf Ihre Stellungnahme zum Faltblatt, das eine Handreichung für Lehrer im Umgang mit muslimischen Mädchen sein soll, eingehen.

Es geht hier für mich nicht um eine Debatte religiöser Toleranz, sondern um die Frage, welches Frauen- und Mädchenbild an unseren Schulen Eingang findet. Wenn es dem Integrationsfrieden dienlich ist, könne laut Ministeriums-Handreichung der Sexualkunde- und Sportunterricht nach Geschlechtern getrennt werden, dann kann muslimischen Mädchen ein Ganzkörperschwimmanzug (Schwimmburka) empfohlen, dann kann ein muslimisches Mädchen bei Klassenfahrten von einem Familienmitglied begleitet werden. Mädchen und Jungen, Frauen und Männer sind bei uns gleichberechtigt. Dass Mädchen der Anlass sein sollen, den Unterricht umzugestalten, ist anti-emanzipatorisch, anti-aufklärerisch. Wenn es geboten ist, den Sexualkunde- und Schwimmunterricht nach Geschlechtern in der Pubertät aus entwicklungspsychologischer Sicht zu trennen, könnte ich das nachvollziehen, das müssen Fachleute entscheiden. Dann darf aber nicht das muslimische Mädchen der Grund sein, dann gilt das für alle. Grundlage der Ministeriumshandreichung ist aber eine religiöse Sichtweise: Frauen und Mädchen, nicht Jungen und Männer, kann angeraten werden, sich zu verhüllen mit einem Ganzkörperschwimmanzug.

Welches Frauenbild steckt denn dahinter?

Sehr geehrter, lieber Herr Thesing, gerade emanzipierte muslimische Frauen wenden sich vehement gegen diese Diskriminierung von Mädchen und kämpfen für Gleichberechtigung. Wir sollten ihnen von offizieller Seite aus nicht in den Rücken fallen. Zu Recht haben die Mütter und Väter meiner Generation sich für Aufklärung und Gleichberechtigung eingesetzt und alte, überholte Strukturen überwunden. Das hat auch zu Veränderungen in unserer Kirche geführt, und Sie wissen, dass ich als Mitglied im Zentralkommitee der deutschen Katholiken an diesen gesellschaftspolitischen Fragestellungen kritisch und konstruktiv mitarbeite.

Religionsfreiheit ist ein hohes Gut, für das ich mich auch als Theologin stark mache. Deshalb plädiere ich u.a. für einen Islamunterricht an unseren Schulen - in deutscher Sprache, durch in Deutschland ausgebildete Lehrer auf Grundlage unserer Verfassung. Das schließt die Akzeptanz unseres Gleichberechtigungsgedankens von Frau und Mann ein. Aus diesem Grund, halte ich das Handreichungsblatt für überarbeitungswürdig. Es verunsichert Lehrer und verwirrt Eltern und ärgert aufgeklärte Frauen. Sehr geehrter, lieber Herr Thesing, ich finde es schade, dass Sie in Ihrer Stellungnahme auf diese Bedenken nicht eingehen.

Da Sie aktuelle politische Debatten kommentieren, gehe ich davon aus, dass es auch eine offizielle Stellungnahme und Aufforderung an die rheinland-pfälzische Landesregierung geben wird, die neue Unterstützung von Hartz IV-Empfängern und Kindern aus finanzschwachen Familien nicht länger im Bundesrat zu blockieren. Es wird auf Grundlage einer nachvollziehbaren Berechnung eine geringe Erhöhung des Hartz IVSatzes, der unter Rot-Grün falsch berechnet und vom Gericht kritisiert worden ist, geben.
Zudem soll es ein Bildungs- und Teilhabepaket für Kinder geben. Das ist gut und besser als der aktuelle Zustand. Ich denke, Sie stimmen mit mir überein, dass die Verhinderung und Blockierung dieser Maßnahme nicht auf dem Rücken der Kinder undBedürftigen ausgetragen werden sollte.

In diesem Sinne grüße ich Sie herzlich und freue mich über die Fortführung unseres bisherigen Dialoges,

Ihre

Julia Klöckner